Samstag, 12. Juli 2014

Tank

Are you my family?
Can I stay with you a while?
Can I stop off in your bed tonight?
I could make you smile.



Er erschrickt kurz, als das Lied anfängt zu spielen. Hatte er nicht all ihre Lieder aus der Playlist entfernt? Anscheinend hatte er das hier übersehen. Er klickt auf seinen Musicplayer, hält kurz inne und skipt dann zum nächsten weiter. The Prodigy. Besser. Zurück zum Reedit-Forum und diesen einen AMA, an das er sich heute mittag erinnert hat. Als es in seinem rechten unteren Bildschirmrand anfängt zu blinken, überlegt er kurz es wegzuklicken, entscheidet sich aber um. 

sophistcat: Bist du da!?! Tan will noch ein Spiel machen, aber Bob ist raus für heute. Er meinte auch es wäre das letzte für heute! 

Iamrubber: Nee, bin auch schon ziemlich fertig

sophisticat: Erzähl kein scheiß! Es ist noch nicht einmal 2! Ein Spiel! Versprochen! Bist unser 5. Mann! Biiitttteeee

Iamrubber: ... okay

sophisticat: Beste wo gibt! Komm TS!

Er klickt auf das Icon auf seiner Taskleiste und überspringt das Intro. Kurz danach öffnet er das Voicechat-Programm und betritt den Spielraum. 

Toastbro: erzähl nicht! Und was meinte Kathi dann dazu?

Evilpipe: Nicht viel. War halt nur nicht so begeistert von der Idee. Oh hey, hat die cat also dann doch noch einen angeschafft. Hi Rubber!

Toastbro: Hi! Doch mal wieder am Start! Wurde auch mal Zeit! Nach 3 Wochen solltest du auch mal langsam alle deine Taschentücher aufgebraucht haben. Egal durch welche Maßnahme! 

Iamrubber: ...

Toastbro: Ach komm schon! Melli war schon ne Nette, aber du bekommst doch bestimmt da auch noch andere schöne Schnecken ab. Hab ich recht oder hab ich recht.

sophisticat: Klappe jetzt! Versuch du erst einmal ein Mädchen länger als eine Nacht für dich zu begeistern, am besten dann auch mal eine die nüchtern ist.

Toastbro: Schätzchen, für dich hab ich immer...

Kreitan: Leute, wollen wir heute vielleicht noch ein Spiel gewinnen, oder wird das wieder Hans Meiser für Arme. Konzentration bitte. Den ganzen Abend nur auf den Sack bekommen, mittlerweile müssten wir im Matchmaking so niedrig sein, dass wir wirklich in Betracht ziehen sollten, stattdessen nur noch Spiele wie Candy Crush anzugehen. 

Toastbro: Da würde ich dich im 1 vs. 1 auch an die Wand klatschen!

Kreitan: Ich schick jetzt die Invites raus. Ich verlange ja nicht viel, nur einen verdammten Sieg.

Das Spiel-icon blinkt und er nimmt den Invite an. In einer Leiste blinken die einzelenen Spielernamen auf. 
Spieler 1: Kreitan
Spieler 2: Toastbro
Spieler 3: Evilpipe
Spieler 4: sophisticat
Spieler 5: Iamrubber  

Kreitan: Okay, die Rollenverteilung bleibt die Gleiche. Rubber, du übernimmst wieder die Rolle des Tanks. Geht klar, oder? 

Iamrubber: kay.

Kreitan: Dann los.

Die Leiste färbt sich grün, das Bild wechselt, am unteren Bildschirmrand füllt sich ein Ladebalken. Er blickt hinter sich auf sein Bett. Da liegt sie , arbeitet an ihren Zeichnungen, singt halblaut zu ihrer Musik aus den Kopfhörern. Und immer wenn sie mitbekommt, dass er zu ihr blickt, lächelt sie ihn an und ruft ironisch Sachen wie "Du packst das Tiger, sei mein Held in strahlender Rüstung!" Sein Bett ist jetzt leer, ein Berg von Wäsche hat ihren Platz eingenommen.

Das Spiel startet. "Krevons Desert /Deathmatch" Eine düsterne tiefe Stimme begrüßt die Spieler. "Lets Fight! Choose your Class"

Evilpipe: Was es geht schon los! Ich muss hier noch einen fertig bauen! Wartet kurz.

Toastbro: Lol!

Kreitan: Das kann doch nicht wahr sein!

In der Ecke erscheinen neben Spielernamen nun die Klassen.
Spieler 1: Kreitan / Engineer
Spieler 2: Toastbro / Medic
Spieler 3: Evilpipe / Sniper
Spieler 4: sophisticat / Gunman
Spieler 5: Iamrubber  / Tank


Der Bild ändert sich erneut. Er ist nun im Spiel. Er sieht seine Figur mit dem Rücken vor sich stehen. Ein muskulöser Gigant in roten Rüstungsteilen, in beiden Händen einen riesigen rostigen Hammer. Neben ihm erscheinen die restlichen Spielfiguren.

Toastbro: Rubber, hast schon meine neuen Schulterplatten gesehen! Sind Legendary! Lucky Toasty is lucky!

sophisticat: Glück im Spiel...

Kreitan: Okay Leute, ich denke die anderen werden entweder in Villagers Point Stellung nehmen, oder über
 Sharp Edge reinkommen. Evil, du beziehst am besten in den südlichen Hügeln Stellung, verstanden?

Evilpipe: ....

Kreitan: EVIL!

Man hört ein Feuerzeug klicken und wie jemand tief inhaliert.

Evilpipe: Hust.. ja..hust... verstanden. Entspann dich mal. Bin ja schon dabei.

sophisticat: Okay, also ich würde mich allein Richtung Villagers Point bewegen und der Rest bewegt sich auf Sharp zu?

Kreitan: Endlich mal jemand, der was von dem Spiel versteht. Okay, los gehts.

Die Figuren verteilen sich. Beinahe automatisch setzt er seine Figur in Bewegung.

Es ist ein Mittwoch, es scheint die Sonne, aber die Wolkendecke verdichtet sich schon. Sie sitzen sich in einem Cafe gegenüber, eigentlich war es nie ihr Favorit, aber heute wollte sie sich nach der Uni hier mit ihm treffen. "Was ist los, du klangst besorgt am Telefon." Sie greift sich mit der einen Hand in die Haare und verbleibt so kurz. "Ich kann nicht... ich kann das hier nicht mehr." Er fragt, "was meinst du", obwohl er genau weiß, was sie meint. "Du, du nimmst mir die Luft. Beziehung heißt für mich nicht, dass man nur noch mit dem Partner Sachen man, ich meine... ausgehen und so. Ich bin nicht dein Eigentum." "Ist es wegen der Sache bei Krissis Party, ich hab mich doch schon entschuldigt! Ich hatte einem im Tee und du musst zugeben, der Typ ist dir den ganzen Abend nicht von der Seite gewichen." "Und selbst wenn, denkst du nicht, dass ich das nicht alleine regeln könnte! Vertraust du mir nicht? Ich bin es leid, mich ständig von der Ausfragen zu lassen. Ich dachte du würdest mich lieben, aber ich glaube manchmal du hast nur einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt." "... ich will doch nur... ich mein..."

RUBBER!!! WAS MACHST DU!

Sie sind in einen Hinterhalt geraten, 2 Assaults haben sie von hinten angegriffen.

Kreitan: Rubber! Verdammt noch mal! Konzentrier dich! Toastybro, heil mich verdammt nochmal!

Toastybro: Ich dachte erstmal draufhalten wäre hier angebrachter...

Kreitan: Hör auf zu denken! Verdammt, diese Drecks Wurfklingen müssen dringend generft werden, die Dinger sind einfach imba! Rubber was ist nun!?

sophisticat: Holger, bist du da?! Alles klar?!

Iamrubber: Alles klar.

Er zieht seine Figur in Richtung Angreifer und nutzt seine Boosterfähigkeit, um ihnen entgegen zu stürmen.
Währenddessen baut der Engineer weiter an seinem Geschütz und bekommt Healingboosts von seinem Medic, der sich hinter ihm aufgestellt hat.

Kreitan: Nur noch ein kleines Stückchen!! Koommmmm schooonnn!

Die Assaults konzentrieren sich mit ihren Attacken weiterhin auf den Engi vor ihnen. Der Tank zieht seinen Hammer und erzeugt einen Bodenschlag, der beide Angreifer zurückwirft.

Kreitan: Das Geschütz steht!

Im Spiel erscheint ein Geschützturm, der sofort das Feuer auf beide Gegner eröffnet, sie versuchen sich noch an einem Rückzug, aber er versperrt ihnen mit seiner Figur den Weg.

5 VS 3! vertönt die Stimme im Spiel.



Toastbro: Na, das lief doch! E-Sport, wir kommen!

Plötzlich ein Knall, der Medic fällt tot zu Boden.

4 VS 3

Toastbro: Achhhh kommt schon! Sniper sind der Abschaum der Spielewelt! Nichts für ungut, Evil.

Evilpipe: Was.

Erneut hört man deutliches Inhalieren.

Kreitan: Verdammt, wo steht der Dreckskerl. Cat, hast du was gesehen?

sophisticat: Ne, sorry, wahrscheinlich westlich von euch.

Erneuter Schuss, der Engineer geht zu Boden.

3 VS 3! COMEBACK

Kreitan: Dieser verdammte Dreckskerl. Das ist bestimmt so ein 12 jähriger Fatzke, der sich schön von Papis Kreditkarte erstmal schön die Xp-Booster besorgt hat! Ich hasse dieses verdammte Spiel! Ich hasse es!

Evilpipe: Ich seh ihn.

Kreitan: WAS!?

Erneuter Schuß.

3 VS 2!

Evilpipe: Ich bin Sniper und mir gehts gut, am Tag packt mich die Tötungswut, ich lad mein Gewehr und schieß den Gegner...

Evil beginnt zu summen.

Kreitan: Warum erst jetzt! Warum nicht vor 30 sek.

Evilpipe: Vor 30 Sekunden habe ich ihn noch nicht gesehen.

Kreitan: Das kann doch alles nicht wahr sein.

sophisticat: Jungs, ich hab hier ein Problem, die haben mich gesehen. Und nun kommen sie hierher.

Kreitan: Pipe gib ihr Rückendeckung! Rubber, konzentrier dich und beweg dich da hin, los!

Evilpipe: Er ist Holzfäller... ja ja. ... verdammt.

Kreitan: Was!

2 VS 2!

Evilpipe: Jetzt haben sie mich gesehen. Engi mit Drohne means no fun time for me.

Toastbro: Also ich fühle mich gerade hier prächtig unterhalten. Pipe, erinner mich dran, dass ich dir gleich noch das eine Video schicke. Ist der Hammer!

Kreitan: Klappe! Ihr alle. Cat, siehst du die Gegner?

sophisticat: Nope. Rubber, wo bleibst du?

Iamrubber: Bin gleich da.

Er hämmert immer wieder auf seine Turbotaste, während er konzentriert auf die Minimap auf seinem Bildschirm schaut.

"Das hier ist die Melli, sie studiert mit mir." "Hi, ich bin Holger" "Freut mich" Diese Augen, noch nie hatte er so schöne Augen gesehen.

sophisticat: Rubber, ich brauche dich jetzt! Meine Schilde gehen flöten.

Zaghaft hilft er ihr aus der Bluse. Er zittert als er es über ihren Kopf hebt. "Du.. du bist wunderschön" Sie lächelt ihn an, küsst ihn. Dann führt sie seine Hände an den Rücken, zu den Klammern ihres BHs.

Kreitan: Das schafft er nicht, sie haben nichts womit sie drei besiegen können.

Iamrubber: Ich sehe dich. Wenn ich es dir sage, wirfst du alle deine EMPs.

sophisticat: Was hast du vor?

Toastybro: Kamikaze. Alter Falter.

Kreitan: Das klappt niemals! Versuch es lieber mit den Einzelnen! Wenn du einen davon verpasst...

Iamrubber: Klappe.

sophisticat: Dein Schaden wird nicht ausreichen!

Iamrubber: Sophia, den Rest wirst du machen. Du kannst das. JETZT!

Sophisticat wirft mehrere Granaten hinterneinander auf die 3 Gegner vor ihr, die sich auf eine Stelle gedrängt haben. Blaue Blitze erfüllen ihre Figuren, ihre Schilder sind für ein paar Sekunden unterbrochen. In diesem Moment springt der Tank hinter dem Gunman hervor. Er pulsiert in einem grünem Licht. Die Gegner versuchen noch nach hinten auszuweichen, doch schon dort explodiert der rote Gigant in einer gewaltigen Explosion. Die Angreifer werden nach hinten geworfen.

Hi Holger, ich soll dir von Melli ausrichten, dass du ihr bitte keine weiteren Nachrichten schicken sollst. Sie kann damit gerade nicht umgehen. Grüße...

1 vs 3!

Iamrubber: Und nun mach sie fertig.

Bevor der Engineer sich aufrichten kann, wird er von einem Kopfschuß niedergestreckt.

1 vs 2!

Die anderen Beiden erkennen langsam ihre Lage. Noch sind sie in der Überzahl. Der Gunman vor ihnen wechselt seine Waffe. 2 kurze Schrottflinten richten sich auf sie.

1 vs 1! Doublekill!

Triplekill!

Your Team won!

Er klickt sich durch ihre Deviant-Gallerie. Und da ist noch diese eine Zeichnung. Sein Kopf auf den Körper seiner Spielfigur. Es war ein Geburtstagsgeschenk. Sie hat die Widmung mittlerweile retuschiert, auch die Bildbeschreibung wurde gelöscht. 

Toastybro: Hammer! Geiles Ding Cat! Kannst ja doch was!

Kreitan: Gute Arbeit, so sieht also gleich nochmal der Sieges-Schriftzug aus. Sehr schön. Obwohl ich nicht so konform mit eurer Kamikaze-Aktion gehe. Trotzdem schöne Arbeit Leute. Sogar du Pipe.

Evilpipe:...

Kreitan: Pipe?! Ist der Typ schon wieder eingepennt. Hoffentlich hat er wenigstens seine Kippe davor ausgemacht. Okay ich hau mich dann mal hin. Ich schieb Pipe davor noch in nen anderen Raum. Machts gut.

sophisticat: Schlaf gut.

Evilpipe und Kreitan haben den Raum verlassen.

Toastybro: So meine Hübschen, was stellen wir drei heute noch so Dreckiges an?

sophisticat: Auf deinen plötzlichen Herzstillstand hoffen.

Toastybro:  Uhhh harsch. Bin ja schon weg. Gute Arbeit ihr beiden. Vielleicht klappts ja auch im Bett so gut zwischen euch!

sophisticat: Verpiss dich endlich.

Toastybro hat den Raum verlassen.

sophisticat: Und erneut Frage ich mich, wieso ich diesen Typen noch in meiner Freundesliste habe... Das war wirklich gute Arbeit von dir vorhin, Holger. Du bist zum Tanken geboren.

Iamrubber: Danke. Ich glaube ich werde...

sophisticat: Du hast die ganze Sache immer noch nicht überwunden, oder? Ich versteh das. Liebe ist ein dreckiges Miststück. Und trotzdem, egal wie bescheuert es in deiner jetzigen Situation klingt, du wirst daraus stärker hervorgehen. Nur gerade musst du einfach lernen loszulassen. Du bist ein guter Kerl, aber verstehe Melli, wenn sie meint, dass du die Rolle des Partners zu ernst nimmst.

"Hey, was willst du eigentlich von Melli?!" "Was willst du denn jetzt von mir" Er geht noch einen Schritt näher auf den Typen zu. "Du weißt schon, dass sie in Begleitung hier ist, oder?" Obwohl seine Augen schon glasig sind, versucht er die Augen seines Gegenübers zu fixieren. "Holger, was soll der Scheiß, lass Fred in Ruhe" "Lass ja deine Finger von ihr, sonst" "Sonst was" Er spürt wie seine rechte Hand eine Faust bildet.

sophisticat: Ich merk schon, du bist noch nicht bereit für diese Art von Gespräch... Okay, ich werde auch Feierabend machen. Du musst mich aber auch mal wieder besuchen kommen! Tut dir bestimmt nur gut! Pass auf dich auf Großer. Gute Nacht.

sophisticat hat den Raum verlassen.

Iamrubber: Gute...

Er schließt das Spiel und den Voicechat. In einem Tab ist noch ihre Facebook-Seite geöffnet. Er überlegt auf "eine Nachricht senden" zu klicken, dann schiebt er die Maus auf das X in der Ecke. Er ist müde. Und morgen ein neuer Tag. 

Mittwoch, 9. Juli 2014

Kundenbetreuung

Schon beim Betreten des Treppenhauses, weiß er, dass sich hier nicht alles zum Besseren geändert hat. Er  bahnt sich seinen Weg auf der Treppe durch allerlei Schutt und Kleinkram. Dabei vermeidet er das Geländer zu berühren, da es auch, wie der ganze Rest hier, von einer Staubschicht bedeckt ist. 2. Stock. Er schaut auf das Klingelschild, als ob er sich nicht sicher wäre, dass er hier noch wohnt. Natürlich ist er nicht umgezogen, wohin denn auch. Er klingelt. Schaut noch einmal an sich herab um sicher zu gehen, dass er wirklich sauber oben angekommen ist. Keine Reaktion. Er klingelt erneut. Immer noch nichts. Er räuspert sich hörbar und beginnt gegen die Holztür zu klopfen. Energisch, aber mit dem Versuch noch höflich zu bleiben. Dann hört er ein Rumpeln, anscheinend bewegt sich da doch noch was. "Bin gleich da" klingt durch die Tür. Mit einer energischen Bewegung wird sie aufgerissen und da steht er nun. Sein Haar wild und ungekämmt, der Bart darunter fleckenhaft, weniger voll, aber auch wildgewachsen. Seine braunen Augen wirken, obwohl sie gerade weit aufgerissen sind, von einer nebelhaftigen Müdigkeit belegt. Er trägt ein T-Shirt, dass faltig und fleckig ist. Anscheinend war darauf mal eine Comicfigur abgebildet, aber schon zu viele Teile sind ausgewaschen. Seine Jeans hängt ein wenig, der Gürtel baumelt lose daran. "Habe ich sie geweckt?" "Ähmm.. nicht direkt...also wach war ich schon... bin nur noch nicht dazugekommen, aufzustehen." Der Gast schaut auf die Uhr. 16:36.

"Wir waren verabredet, kann ich reinkommen?" "Selbstverständlich" Der Mann geht mit dem Gast den Flur entlang. Beim Gehen erhascht er einen Blick auf sein Zimmer. Würde er es nicht besser wissen, er würde davon ausgehen, bei einem Messi zu Gast zu sein. Der Boden ist mit Verpackungen und Klamotten verpackt, das Bett noch kaum erkennbar, die Fenster verhangen, nur in der einen Ecke strahlt das Licht des Laptops. Doch hier findet das Gespräch nicht statt. Er wird in die Küche geführt. Die ist sogar überraschend sauber. Weil sie kaum in Benutzung ist. In der Spüle stehen ein paar Gläser. Und Staub. Überall dieser verdammte Staub. Er bekommt einen Sitzplatz angeboten. "Möchten sie was Trinken? Ich hätte Wasser.."
"Danke, nein. Bevor zu ihrer Forderung kommen, würde gern mit ihnen noch einmal ihren aktuellen Stand durchgehen. Nur damit wir auch wirklich die richtigen Angaben haben. Sind sie damit einverstanden?"
 "... okay, eigentlich hatte ich gehofft, dass schnell über die.."
"Aktuelles Alter?"
"24"
"Aktuelle Beschäftigung"
"....Student"
"Welches Studienfach?"
"Medienkultur"
"Master?"
"Bachelor" Der junge Mann sinkt langsam in seinen Stuhl, sein Blick konzentriert sich auf das Wasserglas vor ihm.
"Sie sind damit also im... 8. Semester. Korrekt?"
"Genau... ganz ehrlich ich verstehe nicht, wieso wir das alles durchgehen müssen, wenn ich doch eh nur kündigen möchte"
"Herr S. Ich bin mir dessen im Klaren, dass der Grund dieses Gesprächs in dem Wunsch ihrer Kündigung liegt, aber ich vertrete hier ein Unternehmen, dass es sich zur Aufgabe gemacht ihren Klienten einen Service anzubieten, der direkt auf die Wünsche und Gegebenheiten des Individuums zugeschnitten ist."

"Aber.."
"Nebenverdienste?"
"Ich habe als einen Job als Aushilfe."
"Sind sie damit zufrieden?"
"Wie meinen sie das? Von der Bezahlung her? Die Atmosphäre?"
"Beantworten sie einfach die Fragen"
Er schüttelt kurz seinen Kopf, will schon wieder für eine weitere Frage ansetzen, doch er erkennt, dass er es nur so in die Länge ziehen würde. Er will die Sache hinter sich bringen.
"Die Bezahlung reicht zum Leben, ich quäle mich nicht dorthin, aber am Ende des Tages ist es stumpfe Arbeit."
"Wann werden sie ihr Studium beenden?"
Erneuter Blick auf das Wasserglas. Seine Hände umschließen das Glas, er versucht einen Fleck wegzukratzen, der gar nicht da ist.
"Ich weiß es nicht. Es sieht gerade nicht danach aus, dass es bald passieren wird. Ich scheine meinen Antrieb verloren zu haben, irgendwo auf dem Weg... ich.. entschuldigen sie. Ich kann ihnen keine klare Antwort geben"
Der Mann im Anzug sieht nicht auf, er schreibt weiter in seine Formulare.
"Haben sie sich schon überlegt ihre Karrierepläne in eine andere Richtung zu lenken, in einen eher praktischen Bereich"
"Ja, habe ich"
Es wird klar, dass er nun extra mechanisch antwortet. Das Treffen verläuft nicht so, wie er sich das vorgestellt hat.
"Und?"
"Ich bin jetzt seit 4 Jahren hier und so kurz vor dem Ziel. Es sind die letzten Schritte, dann kann ich dieses Kapitel abschließen"
"Was sie aber immer noch nicht geschafft haben."
Der Mann schaut immer noch nicht von seinem Formular auf.
"Was fällt ihnen eigentlich ein! Ich habe sie nicht hierher bestellt, um mich einer psychoanalytischen Untersuchung zu unterziehen! Ich möchte den Vertrag auflösen, das kann doch nicht so schwer sein!" Herr S. ist von sich selbst überrascht, er ist lauter geworden als er eigentlich wollte. Er kann sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal seine Stimme so erhoben hat.
Der Mann blickt auf, er rückt seine Brille zurecht und schaut ihn wieder direkt an.
"Herr S. ich bitte sie erneut um Geduld. Wir sind gleich mit der Befragung durch."
Der junge Mann sackt zurück in seinen Stuhl, fassungslos aufgrund seines Verhaltens und des seines Gegenübers.
"Herr S. sind sie glücklich?"

Die Männer schauen sich einen Moment stumm an. Dann beginnt S an zu lachen. Es ist kein ausgelassenes Lachen, es klingt zynisch und schwer, als ob er es über die Zeit verlernt hätte.
"Glauben sie wirklich ich hätte sie hierher bestellt, wenn ich glücklich wäre? Sehen sie mich an. Ich bin Mitte Zwanzig und stehe immer noch dort, wo ich mit Anfang Zwanzig stand. Ich trete auf der Stelle und das obwohl es nicht einmal die schönste Stelle ist. Das Interesse an meinem Studium hat sich verlaufen, obwohl ich dummerweise noch nicht einmal damit fertig bin. Die erste Frage, die mir in meiner Heimatstadt gestellt wird, ist wie lange ich denn noch studieren muss. Kein Tag beginnt vor 11 Uhr, da mir davor anscheinend jegliche Motivation fehlt. Meine Eltern geben sich geduldig, aber ich kann die Enttäuschung und Besorgnis in ihren Augen sehen. Meine Freunde, es verwundert mich selbst, dass es noch solche Leute in meinem Leben gibt, sprechen das Thema entweder gar nicht mehr an, oder versuchen mich erfolglos zu motivieren. Allgemein sind die Gespräche mit Freunden sehr einseitig. Entweder ich habe nichts Neues aus meinem Leben zu erzählen, oder ich möchte nichts erzählen. Weil es mir alles so sinnlos erscheint, weil mir selbst der Spaß an Smalltalk vergangen ist. Die einzigen romantischen Gedanken verschwende ich an Frauen, die schon längst aus meinem Leben getreten sind. Ich sehe wie andere Leute um mich herum in ähnliche Lagen geraten wie ich, aber es von selbst aus schaffen, alles wieder in den Griff zu bekommen. Ich schaffe es nicht einmal in diesen falschen glücklichen Zustand des Betrinkens zu flüchten. Selbst dafür fehlt mir der Antrieb, verstehen sie es nun. Ich will nicht mehr, weil mich selbst nicht ertragen kann."

Der Gutachter hat während dieses ganzen Monologs still den Blick des jungen Mann ertragen. Nun widmet er sich wieder seinem Formular. S. ist plötzlich unfassbar müde. Das was er sagte war nicht befreiend, es fühlt sich eher so an, als ob er den Schlamm in sich aufgewühlt hätte und nun wieder alles trüber erscheint.
Der Mann blättert erneut in seinen Unterlagen.
"Gut. Vielen Dank für ihre Bereitschaft. Leider muss ich ihnen mitteilen, dass ihre derzeitigen Umstände keinen ausreichenden Grund liefern den Vertrag zu unserer Institution aufzulösen. Wir verstehen, dass sie aktuell Probleme haben und ihnen ihre Lage missfällt, aber..."
"Ernsthaft! Das alles hier nur um mir dann meine einzige Bitte zu verwähren?! Ich verstehe das nicht. Ich kann doch wohl selbst entscheiden, wenn etwas ausreicht um diesen Vertrag aufzulösen."
"Herr S. verstehen sie doch bitte, die Verträge unserer Kunden sind auf höchst komplexe und vielfältige Weise miteinander verbunden. Die Auflösung eines Kundenkontos zieht eine unfassbar aufwendige Veränderung aller verbundenen Konten mit sich. Und auch wenn sie vielleicht gerade nicht den Eindruck haben, auch ihr Konto ist mit anderen verwoben. Vorzeitige Vertragsauflösungen werden in den seltensten Fällen genehmigt."
"Und wenn ich einfach aussteige..."
"Herr S. ich bitte sie, die Folgen sie sind..."
"Gehen sie jetzt, ich denke wir sind fertig hier."
"Herr S. ich sehe mich gezwungen, sie erneut daran zu erinnern, dass ein Vertragsbruch nicht von Kundenseite ausgeführt werden sollte. Unser System... es ist..."
"Gehen sie."
Der Mann schaut ein letztes Mal auf seinen Kunden. Das verwaschene T-Shirt. Der fleckige Bart. Der Blick leer und das Gesicht erstarrt. Dann richtet er sich auf, verstaut die Unterlagen in der Aktentasche und verlässt die Wohnung. S hört wie die Wohnungstür ins Schloss fällt. Er bleibt eine Weile sitzen, konzentriert sich auf das Geräusch seines Atems. Dann richtet er sich auf, stellt sein Wasserglas in die Spüle. Auf den Weg zu seinem Zimmer kommt er am Spiegel im Flur vorbei. Er sieht sich an, streicht über sein Kinn und spürt die Stoppeln. Dann dreht er sich um und geht ins Bad. Hinter sich lässt er die Tür ins Schloss fallen.